22.06.2023
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DJZ
Ausgabe 05/2023
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4 Min

Das Sterben alter Kaliber

Die Macht der .30

Vorbei scheinen die Zeiten „guter alter deutscher Kaliber“. Wenn überhaupt, sind sie in „antiken“ Büchsen oder Kombinierten zu finden. Und wo Verlierer, da auch Gewinner. In diesem Fall die .30er. Warum eigentlich?

Die Macht der .30

Bild: Shutterstock

Autor: Peter Diekmann
 
Nimm die 7 x 64 – ein top Kaliber!“ An diesen Satz werde ich mich wohl mein Leben lang erinnern. Er stammt von meinem leider bereits verstorbenen Jagdfreund Udo, von dem ich jagdlich einiges lernen durfte. Seine große Leidenschaft: ältere Waffen. Egal was: Drillinge, Bockbüchsflinten, Repetierer. Alles, was einen oder mehrere Kugelläufe besaß, im deutschsprachigen Raum gefertigt wurde und mindestens so alt war wie er selbst. Alles andere kam für ihn nicht in Betracht. Für Kaliber wie .308 Win. oder .30-06 hegte er keine (großen) Sympathien. Stattdessen fand sich in seinem riesigen Waffenarsenal beinahe jedes Kaliber deutscher Herkunft. Am meisten vertreten: 7 x 57, 7 x 57 R, 7 x 64, 7 x 65 R, 8 x 57 I(R)S und 9,3 x 74 R.

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(Bild: )
Seinen Ratschlag mit der 7 x 64 befolgte ich. Wenig später hatte ich meinen ersten Repetierer, einen 98er in diesem Kaliber. Nach zwei Jahren kam der nächste in 7 x 57 hinzu.
 
Bis zu 75 Prozent!
Letzterer ist nach wie vor in meinem Besitz, jedoch seit Jahren ein reiner „Tresorhüter“. Meistens greife ich zu meiner „Arbeitswaffe“, einer Merkel Helix in .30-06. Und: Etwa zwei Drittel bis drei Viertel der neu auf den Markt kommenden Repetierer werden in einem der drei großen 30er-Kaliber ausgeliefert.
 
Nachfrage bei Merkel und Blaser: In Suhl verlassen 74 Prozent der Helix-Modellreihe die Werkshallen in den Kalibern .308 Win. (32 Prozent), .30-06 (27 Prozent) und .300 Win. Mag. (15 Prozent). Ein ähnliches Bild in Isny. Dazu Blaser-Geschäftsführer Christian Socher: „Mehr als 30 Prozent weltweit entfallen auf die .308, welche – zusammen mit der .30-06 – knapp 50 Prozent ausmacht. In Deutschland ist die .308 sogar noch einmal deutlich beliebter. Weltweit betrachtet sind vor allem 8 x 57 IS, 9,3 x 62, .300 Win. Mag und 6,5 Creedmoor bei den Jägern beliebt.“
 
Zumindest 8 x 57 IS und 9,3 x 62 sind also inter­national noch von Bedeutung. Übrigens auch in Deutschland. Bei den Helix-Modellen sind es immerhin noch 16 Prozent, die in Summe dieser beiden Kaliber ausgeliefert werden.
 
Warum ist das so?
Für die Übermacht der .30er gibt es sachliche und persönliche Gründe. Letztere sind nicht zu erklären, wohl aber auch durch Trends beeinflusst. Sachlich betrachtet gibt es hingegen drei starke Argumente für die „Amis“:
 
Punkt 1: Die Auswahl an Fabrikmunition und Geschossen ist gigantisch, viel besser als etwa bei einer 7 x 57.
Punkt 2: Auch international ist es immer einfacher, an Ersatzmunition für diese Kaliber zu kommen.
Punkt 3: Der Wiederverkaufswert der Waffen ist in diesen Kalibern derzeit deutlich besser.
 
Für die .308 Win. wird noch ein weiteres Argument ins Feld geführt. Sie gilt als besonders präzise. Doch auch in anderen Kalibern (auch bei klassischen deutschen) sind äußerst präzise Ergebnisse zu erzielen, sodass dieses Argument nur bedingt zieht.
 
Was das Leistungsspektrum angeht, ist es in jedem Fall kaum nachvollziehbar, dass nicht zu alternativen Klassikern gegriffen wird. So lässt sich eine .308 Win. etwa mit der 7 x 57 vergleichen oder eine .30-06 mit der 7 x 64 (siehe Grafiken). Auch eine .375 H & H ist in der Beliebtheit haushoch der 9,3 x 64 überlegen, wenngleich beide „im Schwergewicht boxen“.
Nicht leicht haben es die deutschen Klassiker darüber hinaus auch dadurch, dass manch ein Hersteller die Kaliber-Palette dem Markt angepasst und deutlich gestrafft hat. Kostengründe sind dafür meines Erachtens allerdings eher verantwortlich als das Eingehen auf Kundenwünsche.
 
Fazit
Unterm Strich leben wir schlichtweg in einer freien Marktwirtschaft. Und der Kalibermarkt hat sich aufgrund von Angebot und Nachfrage in eine bestimmte Richtung entwickelt. Inwieweit Marketing, Werbung und Amerikanisierung dafür verantwortlich sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Fakt ist, dass 7 x 57 und 7 x 64 bei Neuwaffen so gut wie keine Rolle mehr spielen. Und solange die Nachfrage nach diesen Kalibern nicht steigt, wird sich daran auch nichts ändern. Gerade auf Drückjagden können sich jedoch nach wie vor die Klassiker 8 x 57 IS und 9,3 x 62 behaupten. Sie halten die deutsche Flagge hoch. Mal sehen, wie lange noch.

Autor: Peter Diekmann