Hubertusmesse
Hornzauber in Saint-Hubert
Jedes Jahr am 3. November ist die Kathedrale von Saint-Hubert in den belgischen Ardennen das Zentrum der europäischen Jagd. Aus aller Welt pilgern Waidleute, Jagdreiter und Hundefreunde in das kleine Dorf mit der imposanten Basilika. Auch Falk Kern ist der Hubertusmagie erlegen.

Bild: Andreas Gijbels
Dunkle Wälder säumen die kleine Straße. Links und rechts sind die Wiesen zwischen den Waldkomplexen ordentlich von Sauen gebrochen. Urplötzlich öffnet sich die Landschaft, und schon von Weitem ist die Basilika zu sehen. Die Einfahrt nach Saint-Hubert ist malerisch. An einem Kreisverkehr in der Ortsmitte springt der Gnadenhirsch auf einem Brunnen, das Haupt und das Kreuz zwischen den Stangen weisen auf die Kirche.
Vor der Kirche stehen 2 deutsche Damen. Gunthild Gerling-Weidlich und Astrid Freye-Schmidt haben jagdlich und seitens der Hornmusik europaweit bereits viel gesehen und erlebt. Die Einladung, mit ihrem Duo HornZauber“ die Messe für den Schutzpatron der Jäger mitzugestalten, und das an dem nach ihm benannten Ort, ist für beide Waid frauen eine besondere Ehre. Die Jägerinnen sind mit der Jagd und dem Hörnerklang aufgewachsen und beherrschen ihre Naturhörner. Schon im Kindesalter fingen beide mit dem Blasen an und bereicherten große Corps mit ihrem Können. Ihre Freundschaft hat die Zeit überdauert, und jetzt warten sie auf den Organisten für die Generalprobe in den heiligen Hallen.

Ein sportiver Herr im Tweedsakko gesellt sich dazu. Steve Verstraeten ist Bruderschaftsmitglied in der „Confrérie Internationale – Les Compagnons de Saint-Hubert“, eines weltlichen Zusammenschlusses von Hubertusjüngern, der hier in der Wallfahrtsstadt der Legende beheimatet ist. Die Gruppierung steht Männern und Frauen offen und hat sich auf die Fahne geschrieben, ethisch wertvolle, waidgerechte Jagd zu betreiben und nach außen zu propagieren. Es ist mit 42 Jahren einer der jüngeren Orden und hat etwas um die 1 000 Mitglieder aus allen Teilen Europas. Steve bietet an, eine Führung durch die Basilika zu übernehmen.
Imposant ist der Begriff, der es am besten trifft, wenn das große Portal der römisch-katholischen Pfarrkirche durchschritten wird. Die Kirche, die auch Basilika St. Peter und Paul genannt wird, steht heute an der Stelle zweier Vorgängergebäude. Eines aus dem 11. Jh. in romanischer Bauweise mit 3 Kirchenschiffen und zum 2. einer gotischen Kirche aus dem 13. Jh., die bei einem heftigen Brand im Jahr 1525 nahezu gänzlich vernichtet wurde. In den wesentlich größeren Neubau wurden nur die 2 erhaltenen Türme integriert. Fertiggestellt wurde der Bau im Jahr 1564.
Im Inneren des Baus ist der Schutzpatron der Jäger allgegenwärtig. Compagnon Steve kennt die Details des Gotteshauses genau und weiß so manche interessante Geschichte zu erzählen. So finden wir uns zügig im Chor wieder. An einer recht unscheinbaren Stelle deutet er auf den Boden: „Hier in der Mitte der Basilika soll dem Glauben einiger Pilger nach die gesamte positive Energie des Ortes zusammenfließen.“ Dann verweist er auf eine hölzerne Darstellung des Schutzpatrons der Jäger im südlichen Chorgestühl. „Einmal jährlich, am längsten Tag des Jahres, findet sich hier eine große Gruppe von Hubertusanhängern. An diesem besonderen Datum strahlt die Sonne bei ihrem Aufgang so durch die Kirchenscheiben, dass das Geweih des Gnadenhirsches für ein paar Augenblicke genau auf dem Kreuz zwischen den Stangen des Geweihten beleuchtet ist. Eine wirkliche Meisterleistung der Architekten des 1733 fertiggestellten Kunstwerks“, erklärt Steve.
Ursprünglich soll das Gotteshaus auch die Gebeine des heiligen Schutzpatrons der Jäger verwahrt haben. „Aber als die Hugenotten einfielen, haben 3 Mönche sie gerettet und versteckt“, erklärt Steve. „Nur hat keiner von ihnen je verraten, wo sie gesichert wurden. Der letzte von ihnen hat das Geheimnis mit ins Grab genommen. Hier gibt es zwar ein Grabmal, aber keine Gebeine“, erzählt das Bruderschaftsmitglied.
„Trotzdem ist noch eine Reliquie vorhanden.“ Der drahtige Niederländer, der seit Längerem im Ort Saint-Hubert lebt, geht zu einem kleinen Altar, der sich südlich des Chors befindet. Unscheinbar ist hier hinter Glas ein Relikt, das sich bei näherem Hinsehen als Stoffstück entpuppt. „Das sollen Reste des Gewands von Hubertus sein“, erklärt er. „Ihnen wurden heilende Kräfte bei Tollwut und Raserei nachgesagt. Kranke mit Symptomen wurden an einer Wand gegenüber dem Heiligtum aufgestellt. Dann wurde ihnen ein Schnitt in die Stirn versetzt und ein winziges Stück des Stoffes in die Wunde gelegt“, führt Steve die Geschichte aus. Der Legende nach waren sie nach dieser Prozedur nach 4 Tagen geheilt. So ganz schien man sich jedoch nicht auf den himmlischen Schutz verlassen zu wollen. Gegenüber des Seitenaltars unscheinbar an der Wand ist ein eiserner Ring in die Mauer eingelassen. Hier wurden die Erkrankten für die Prozedur angebunden.
Trotzdem scheint der Schutzpatron ein Faible für seine Anhänger zu haben. Die komplette Basilika wird von einem weit unter der Decke angebrachten Netz durchzogen. „Das hat aber nichts mit Bauarbeiten zu tun“, weiß Steve zu berichten. „Vor 8 Jahren genau zur Hubertusmesse hat sich ein großer Stein von der Decke gelöst und ist mitten in der Zeremonie in den vollbesetzten Chorbereich geknallt. Bläser, Compagnons, Hundeführer und ihre Vierläufer standen dort. Wie durch ein Wunder – oder halt durch einen Schutzpatron – wurde niemand verletzt. Der Pfarrer sagte sogar noch: ‚Das gibt es nur bei Jagdhunden, dass sie keinen Mucks von sich geben, auch wenn es neben ihnen knallt!‘ Der Ort hat halt eine eigene Magie für Jäger“, erzählt der Wahlbelgier.
Bisher herrschte geschäftiges Treiben in der Kirche. Doch die Vorbereitungen für den morgigen St. Hubertus-Tag scheinen langsam abgeschlossen. Der Organist hat mittlerweile seinen Weg zu den deutschen Damen von „HornZauber“ gefunden. Und auf einmal erklingt von der Empore sanfte Orgelmusik, gepaart mit Hörnerklängen, die einen warmen Schauer durch den gesamten Körper jagen. Die Orgel mit 2 Manualen wurde 1685 gebaut und im Jahr 1930 zu einer romantischen Stimmung modifiziert. Sie besitzt 44 Register, von denen der hervorragende Organist die richtigen zu nutzen weiß. Die Kathedrale ist jetzt nur noch von einigen wenigen Lampen und den Kerzen der Gläubigen beleuchtet. Schauen und Lauschen sind die Gebote der Stunde. Astrid und Gunthild machen dem Namen ihres Duos alle Ehre und liefern echten Hornzauber.
Nach der Generalprobe lädt Steve noch auf ein Bier ein, natürlich auf ein „St. Hubertus blonde“ in eine Bar neben der Kirche. Auch diese Pilgerstätte für Freunde des kühlen Blonden trägt selbstverständlich einen Hirsch im Logo und nennt sich „Hu-Bar“. Immer mehr Compagnons finden sich hier ein. Aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und England sind in diesem Jahr Mitglieder erschienen, die am Folgetag an der Messe teilnehmen und sie mitgestalten möchten.
Am 3. November herrscht schon früh geschäftiges Treiben in den Gassen des 5 000-Seelen-Dorfes. Stände werden aufgebaut, an denen man Köstlichkeiten aus der Region erwerben kann, und auch Holzarbeiten sowie Jagdkleidung sind im Angebot. Um 8.30 Uhr beginnt bereits die 1. und deutlich kleinere Messe. Hier finden sich viele einheimische Gläubige ein. Bei der Gottesfeier, die am kleinen Altar mit den Kleidungsresten von St. Hubertus abgehalten wird, werden ebenfalls kleine Brötchen geweiht – eine Art Mini-Erntedank. Von der Empore aus sind die musikalischen Jägerinnen aus Deutschland bereits voll im Einsatz. Sie gestalten nicht nur die Hauptmesse mit, sondern verleihen auch der frühen Veranstaltung einen edlen akkustischen Rahmen.

Das Örtchen füllt sich zusehends. Zwar ist die große Messe zu Ehren des Schutzpatrons erst um 11.30 Uhr angesetzt, aber bereits 1 Stunde vorher strömen schon Jäger sowie Hundeführer mit ihren Vierläufern auf den Platz vor der Basilika und in die Kirche. Sitzplätze, insbesondere gute, sind heute Mangelware. Auch Steve ist mittlerweile mit weiteren Compangnons de Saint-Hubert auf dem Platz eingetroffen. Die Herren und Damen, die man gestern noch im legeren Tweed oder Loden gesehen hat, sind jedoch am heutigen Ehrentag kaum wiederzuerkennen. In lindgrünen Roben, mit Ordenskette und federverzierten Hüten begehen sie den Festtag. Bevor jedoch der geistliche Höhepunkt stattfindet, sammeln sich die Compagnons und die Teilnehmer des Internationalen St. Hubertusordens am Gnadenhirsch-Brunnen am Ortseingang. Hier treffen sie auf die Trompes-de-Chasse-Bläser mit ihren Hunden, die mit ihren dunklen oder roten Reitertrachten einen farblichen Konterpunkt zu den grünen Hubertusjüngern setzen.


Der Zug formiert sich und kriegt nun auch weitere vierläufige Unterstützung. Die Chiens de Saint-Hubert gehören hier natürlich zum Bild des Umzugs und dem der Messe. Diese Laufhundrasse, auch Hubertushunde genannt, hat ihren Ursprung bei belgischen Mönchen, die sie zur Jagd züchteten. Auch heute werden sie noch auf Schweiß oder zum Stöbern genutzt. Die ganze Corona zieht nun geschlossen in die vollbesetzte Kirche. Auf den Schultern der Bläser wird eine hölzerne Statue von St. Hubertus getragen.

Die Basilika ist besetzt bis auf den letzten Platz – voll mit Hunden und ihren Führern. Feierlich wird nun mit großem Klerus die Messe zelebriert, in der sowohl die Trompes de Chasse als auch „HornZauber“ brillieren. Die Menschen empfangen den Segen, aber was heute genauso wichtig ist: Nach dem Akt in der Basilika scharen sich Vierläufer und Besitzer in Dutzenden auf dem Vorplatz. Denn der Tag gehört nicht nur den Waidleuten, sondern auch den Tieren. Der Pfarrer von Saint-Hubert segnet die treuen Jagdhelfer.

Autor: Falk Kern















