31.05.2025
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9 Min

Der „Bargfelder“ – Teil 3

Wandern und schieben

Haarwechsel, Geweihwachstum, Fortpflanzung – das Leben des Rotwildes läuft nach bestimmten Zyklen ab. Auch seine Wanderungen ordnen sich nach den Jahreszeiten. Seit 9 Monaten ist der „Bargfelder“ besendert. Frank Zabel hat beobachtet, was ihm im Winter und Frühjahr widerfuhr und wo er sich einstellte.

Wandern und schieben

Bild: Gernot Maaß

Seit meinem letzten Bericht hat sich die Welt des „Bargfelders“ aus jagdlicher Sicht weitestgehend beruhigt. Auch wenn im Duvenstedter Brook noch spät im Januar 2 Drückjagden (lt. Hamburger Behörde 2 Gruppenansitze mit geringfügiger Beunruhigung) veranstaltet wurden, so ist diesem unsinnigen Treiben bedingt durch die derzeitige Schonzeit (zumindest für Kälber und mehr­jährige Stücke) vorerst ein Riegel vorgeschoben. Der „Bargfelder“ hat sich jedoch schon lange nicht mehr weit in den Brook hinein getraut. Seit der massiven Beunruhigung im Oktober und November stand er weitestgehend ortsfest am äußersten Rand des Duvenstedter Brooks und verbrachte den größten Teil des Tages auf der schleswig-holsteinischen Seite der Grenze im Hansdorfer Brook. Die hier dargestellten Ortungen bilden das Geschehen nur partiell ab, da außerhalb der großräumig stattfindenden Brunftwanderungen nur 2 Positionen pro Tag vom Sendehalsband übertragen werden, um die Batterie des Senders zu schonen. Sichtbeobachtungen und Wildkameraaufnahmen komplettieren das Bild jedoch, und so ergibt sich ein stimmiges Lagebild.

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Winterruhe: Vom 14. November 2024 bis 15. April 2025 zeigen die Ortungspunkte, dass der „Bargfelder“ monatelang relativ standorttreu war und kaum Kontakt zu Straßen hatte. Grafik: Frank Zabel WILD (Bild: Frank Zabel)

Diese ergänzenden Informationen sind von unschätzbarem Wert, und im Falle des „Bargfelders“, der aufgrund seiner Kahlstelle auf dem rechten Blatt leicht zu identifizieren ist, hätte man allein aufgrund dieser Daten vieles über seine Raumnutzung in dieser Zeit erfahren können. So ist der Fotograf Gernot Maaß ihm ja auch auf die Schliche gekommen. Aber das setzt natürlich einen offenen Umgang mit solchen Daten voraus. Dieser wird in unserem Fall wahrhaft mustergültig praktiziert, und ich möchte mich hier einmal ganz herzlich bei allen Beteiligten Personen (Fotografen, Revierinhabern und Jägern) dafür bedanken. Nur über die Bilder und Meldungen können wir bewerten, wie es dem „Bargfelder“ geht, ob er sich allein oder im Rudel bewegt, ob sich die Auffälligkeiten in seinem Bast auch das 3. Jahr in Folge zeigen, ob es erneut Probleme im Bereich der Kahlstelle gibt (hierzu mehr im 4. Teil) und welche Äsungsmöglichkeiten er bevorzugt nutzt. All dies hilft uns, ihn und sein Verhalten besser zu verstehen.

Mit der Gewissheit, dass er die Jagdzeit überstanden hatte, wurde die Sorge um sein leibliches Wohl von der Frage überflügelt, wann er denn abwerfen würde. Im Vorjahr war dies Anfang Februar der Fall gewesen. Die ersten Februartage verstrichen jedoch, und Tag für Tag kam die Meldung: „Er hat noch auf“. Mit etwas Verspätung warf er aber am 12. Februar zunächst seine rechte Stange ab, die frisch abgeworfen 5,2 kg wog. Von der linken Stange fehlte zunächst jede Spur. 2 Tage später wurde dann jedoch auch diese vom Revierpächter gefunden und mit etwa 4,2 kg gewogen. Ein Wildkamerafoto zeigt den „Bargfelder“ in der selben Nacht, wie er mit frischer Abwurf­fläche in die Kamera äugt. Mit diesen Stangengewichten ist er zwar kein Brook-Gigant, aber allemal ein kapitaler Recke.

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Innerhalb von 2 Tagen warf der „Bargfelder“ beide Stangen ab. Insgesamt wogen sie 9,4 kg. (Bild: Gernot Maaß)

Kaum jemand kann sich wohl der Faszination entziehen, die das enorme Stangenwachstum, dass fast sofort nach dem Abwerfen des vorherigen Geweihs einsetzt, auf den aufmerksamen Beobachter ausübt. Bereits am 1. März sehen wir ihn mit vollständig überwallten Rosenstöcken, und nur 3 Wochen später, am 23. März, zeigt er sich mit deutlich ausgeprägter Aug- sprosse und Stange sowie einem gut erkennbaren Eissprossenansatz.
 

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(Bild: Harald Fuchs)

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Kurz nach dem Abwerfen am 15. Februar lichtet die Wildkamera den „Bargfelder“ ab (o.). Nur 2 Wochen später (1. März) begann der Hirsch bereits deutlich mit dem Aufsetzen (u.). (Bild: Harald Fuchs)
 
Weitere 11 Tage später prahlt sein Bast­geweih bereits mit beeindruckender Massigkeit. Der Hirsch vom 11. Kopf zeigt eng anliegende Rosen und nur noch einen Hauch von Rosenstöcken. In der Nacht vom 15. auf den 16. April kam dann nicht nur Bewegung in sein Geweihwachstum, sondern der Wanderhirsch „Bargfelder“ erwies seinem Beinamen erneut alle Ehre, verlegte er doch, nach über 6 Monaten weitestgehender Standorttreue, seinen Einstand aus dem Umfeld des Brooks über knapp 5 km Richtung Nord-Osten, wo er sich seitdem großräumig in den landwirtschaftlichen Flächen bewegt. Hier wurde er am 18. April zusammen mit 4 weiteren Hirschen in einem Rapsfeld abgelichtet.

In den 15 Tagen seit seiner letzten Sichtung hatte er weitestgehend Aug- und Eissprossen geschoben, die Hauptstange war bereits über die ­Mittelsprosse hinausgewachsen, und auch die Basis der Mittelsprosse war schon gut entwickelt. Mit dieser Wanderung war er in den Bereich zurückgekehrt, in dem er Anfang Juli des Vorjahres immobilisiert und besendert worden war.

2 Tage nach dieser Sichtung zog es ihn einige Kilometer weiter nach Osten, wobei er einmal wieder eine viel befahrene Straße überquerte. Dieses Verhalten kannten wir bereits aus dem Vorjahr. Von hier stammt auch seine vorerst letzte Sichtung. Am 27. April, 74 Tage nach dem Abwerfen der 1. Stange, sieht man den „Bargfelder“, der in den Morgenstunden entspannt am Wald­rand ruht, mit einem bis in den Kronenansatz entwickelten, äußerst symmetrisch ausgebildeten Bastgeweih.

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Am 23. März hat der besenderte Hirsch bereits wieder eine Augsprosse und ein Eisende angesetzt. (Bild: Gernot Maaß)

Ebenso wie auf dem Hin- und Rückweg seiner Brunftwanderung in die Segeberger Heide, bewegte er sich auch während seiner Frühjahrswanderung erstaunlich genau auf dem Wechsel, den er im Vorjahr genommen hatte, als er aus dieser Gegend, in der er, nach seiner Besenderung und dem Verfegen seines Geweihs, den größten Teil der Feistzeit verbracht hatte, zurück in den Brook gezogen war. Die Wanderkorridore zwischen seinen 3 verschiedenen Einstandsgebieten kennt der „Bargfelder“ als reifer Hirsch mittlerweile offensichtlich äußerst gut. Schade, dass er erst als Hirsch vom 10. Kopf besendert wurde. Es wäre zu schön gewesen zu erfahren, wie er sich diesen Lebensraum erschlossen hat. Ob er seine Einstände allein erkunden musste, quasi durch Versuch und Irrtum, oder ob er als Adjutant eines älteren Hirsches das Glück hatte, all dies gezeigt zu bekommen. Das werden wir wohl leider nie erfahren. Was wir jedoch wissen, ist, dass er zumindest diese kleinräumige Wanderung zwischen dem Brook und seinem Frühjahrs- und Sommer- einstand zusammen mit 4 jüngeren Hirschen gemacht hat. Ob er diese oder zumindest einen davon jedoch auch im Herbst mit auf seine Brunftwanderung nehmen wird, bleibt abzuwarten.

Sein Raumnutzungsverhalten fügt sich erstaunlich gut in die den Rotwildcluster Süd (s. Rotwild in Schleswig-­Holstein, Managementplan 2022- 2025) umgrenzenden, menschgemachten Grenzen aus Autobahnen, Bahnlinien und Siedlungsblöcken ein. Der Abstand, den er dabei zu Siedlungen und Gehöften einhält, ist gerade in den Nachtstunden oft erstaunlich ­gering, teilweise liegt er bei nur etwa 50 m. Auch Straßen, immerhin ein Hindernis, das zuvor nicht nur dem sagenumwobenen „Isegrim,“ der 2016 als Hirsch vom 11. Kopf angefahren wurde und einging, zum Verhängnis geworden ist, überquert der „Bargfelder“ ­außerhalb des Brooks diese bisher recht regelmäßig und offensichtlich mit Erfolg. Dies ist umso bemerkenswerter, da er seit seiner Rückkehr von seiner Brunftwanderung bis zu seiner Frühjahrswanderung nahezu keinen Kontakt mit Straßen und Autoverkehr ­hatte. Hoffen wir, dass seine Erfahrung ihn auch weiterhin davor bewahrt, ­dabei Schaden zu nehmen.

Parallel zum Schieben des Geweihs hat sich zumindest auch in der schleswig-holsteinischen Landespolitik etwas bewegt. So hat der Landtag in Schleswig-Holstein am 26. März beschlossen, dass sich die Landesregierung auf ­Bundesebene für den Schutz der Wanderkorridore und des Umfeldes von ­Querungshilfen einsetzen und auf eine Änderung des Erneuerbare-Energien-­ G­esetzes (EEG) hinwirken soll. Der ­zuständige Minister Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete es in der Debatte am 26. März als Treppenwitz und Schildbürgerstreich, dass in den Zuwegungen zu Querungshilfen im Umfeld von Autobahnen, Bundesstraßen und mehrgleisigen Bahnstrecken Solarparks zulässig sind (s. WuH 5/2025, Seite 70) und dass er sich für eine entsprechende Änderung des EEG einsetzen werde. Hoffen wir, dass diese Initiative von Erfolg gekrönt ist und dass sich ihr möglichst viele andere Landesregierungen anschließen.

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Bereits am 27. April, 74 Tage nach dem Abwerfen der 1. Stange, ist er dabei, die Krone zu schieben. (Bild: Gernot Maaß)

Bei seiner beeindruckenden Ortskenntnis und seinem erstaunlichen Navigationsvermögen zeigt uns der „Bargfelder“ nämlich auch, wie zerbrechlich das ist, was er in unserer Kulturlandschaft noch machen darf, und wie schnell die von ihm genutzten Korridore durch unachtsam geplante Baumaßnahmen für immer verbaut werden können. Das wäre das Ende seiner saisonalen Wanderungen, und wir hätten dieses wundervolle Wild wieder eines Stückes seiner Natur beraubt.

Deshalb ist es gerade jetzt, wo unsere Gesellschaft Hunderte Milliarden Euro in Beton und Asphalt investieren möchte, dringender denn je geboten, dass Jäger ihre Stimme für die Wildtiere erheben und ihre Wanderkorridore schützen!

Autor: Frank Zabel