26.07.2023
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F&F
Ausgabe 08/2023
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12 Min

Raubfisch-Praxis

Mission Brassenfresser

Es gibt große Hechte, und es gibt die Klasse „Brassenfresser“: Das sind Exemplare über 1,15 Metern Länge. Birger Domeyer durfte Uferangel-Legende Roland Lorkowski zwei Tage bei dem Versuch begleiten, so einen Kapitalen an den Haken zu bekommen.

Mission Brassenfresser

Bild: B. Domeyer

Die Chance, dass wir nächste Woche einen Kapitalen fangen, würde ich auf 50 Prozent schätzen.“ Mit dieser Ankündigung von Roland steht der Termin fest. Wir versuchen, vom Ufer aus einen sehr großen Hecht zu fangen, im August, bei angekündigten 34 Grad im Schatten. Keine guten Aussichten, würden Sie sagen? Die besten, meint Roland. Den Juli über hat er schon acht Hechte in dieser Klasse erwischt, er weiß also, wovon er redet. Warum die Chance jetzt im Hochsommer so gut ist, erklärt er mir später am Wasser. Jetzt heißt es erstmal: Wathose, Spinnrute, den klassischen Spinner einpacken und ab an den Baggersee. Was, einen simplen Spinner, das alte Eisen? Wer das für völlig rückständig hält, irrt an dieser Stelle. Denn das ist der Köder, auf den es hier ankommt. „Wir fangen diese großen Hechte im Hochsommer erst, seit wir wieder häufiger mit unserem Prollex in Größe sieben angeln“, meint Roland. Mit Gummiködern war die Quote deutlich geringer in dieser Jahreszeit. Die Taktik klingt zunächst simpel. Man wirft den Spinner so weit aus, dass er das relativ tiefe Wasser erreicht, also etwa sechs Meter, und lässt ihn dort zunächst bis zum Boden sinken. Von da an kurbelt man ihn zum Ufer zurück, ohne eine weitere Absinkphase einzuarbeiten. Der Spinner läuft dann etwas über dem Grund schräg die Kante hoch, die meisten Bisse von den Großhechten gibt es direkt an der Kante oder recht dicht unter der Rutenspitze.

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Rolands Favorit: ein Prollex-Spinner in Kupfer Größe 7. Kein Köder hat mehr Brassenfresser ans Band gebracht. (Bild: B. Domeyer)

Besser ohne Boot

„Wie tief die Hechte stehen, hängt auch von der Wassertrübung ab“, sagt Roland, während er seinen Prollex langsam einkurbelt, ein paar Schritte weiter watet und erneut auswirft. „Sie stehen immer in der Tiefe, in der man sie gerade nicht mehr sehen kann. Ist das Wasser trüb, sind sie oft nur einen oder zwei Meter tief. Im klaren Wasser dagegen gerne etwa drei bis vier Meter“, erklärt Roland. Das ist insgesamt nicht tief und meistens auch sehr dicht am Ufer. Roland ist sich sicher, dass Uferangler genau deshalb deutlich bessere Karten haben: „Früher durften wir in diesem See vom Boot aus angeln und haben viele, aber keine gro-ßen Hechte gefangen. Dann wurde das Bootsangeln verboten, wir waren zum Uferangeln gezwungen. Dafür bissen plötzlich die Kapitalen.“ Für ihn ist die Scheuchwirkung des Bootes der springende Punkt bei dieser Angelei, deshalb die Wathose. Manchmal ermahnt er mich auch, einen Schritt zurückzugehen und nicht ganz so tief im Wasser zu stehen. Die Großhechte sind anscheinend empfindlich.

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Die Blechpeitsche von Roland hat schon bessere Tage gesehen, die Tica-Rolle auch. Aber worauf kommt es beim Angeln wirklich an? Know-how oder neueste Technik? (Bild: B. Domeyer)
Lange müssen wir nicht werfen, bis sich die ersten Hechte melden und auf die Spinner beißen. Es sind eher mittelgroße Exemplare bis 75 Zentimeter, die unsere Motivation hochhalten, bis der eine Biss vom Großen kommt. Und wann ist es so weit? Das kann man laut Roland zumindest grob berechnen. Wir reden hier von einem Brassenfresser. Also einem Hecht, der sich von großen Beutefischen ernährt. Hat der Hecht so einen gefressen, muss er ihn erst verdauen, bis er erneut auf die Jagd geht. Das geht im Sommer natürlich viel schneller als im Winter, weil die Wassertemperatur höher ist. Gehen wir von einer Wassertemperatur aus, die im August ihren Höhepunkt hat und dann mindestens 20 Grad höher ist als im Winter. Hechte verdauen dann vier bis sechs Mal schneller als im Winter, fressen auch entsprechend häufiger. Die Chance, dass wir also an unserem Angeltag einen beißwilligen Hecht antreffen, ist im Hochsommer am höchsten. Dazu kommt, dass manche Seen zu dieser Zeit in der Tiefe einen eher geringen Sauerstoffgehalt haben, die Hechte also zwangsweise im flachen Uferbereich stehen müssen. Die Fischkonzentration ist also im August am Ufer am höchsten und die Hechte am aktivsten.
Ist der Fang deshalb ein Selbstläufer? Ganz und gar nicht! Wenn man die Fressplätze kennt und fleißig fischt, bekommt man etwa alle elf Stunden einen Biss von einem Großhecht. Das schlaucht. Elf Stunden in der Sonne zu stehen und zu werfen, da ist unser Mitangler Elias aus Venezuela fast froh, als Roland einen Hänger an der Muschelkante hat. Kurzerhand hat er ein kühlendes Bad genommen und dabei gleich Rolands Köder befreit. Seine Belohnung: Er ist es, der später am Abend den ersten Meterhecht haken und landen kann. Mit etwa 1,05 Metern noch kein Brassenfresser, aber ein wirklich sehr guter und verdienter Fisch für den langen Angeltag, zumal Elias eher Meeresfische gewöhnt ist und sich über diesen Hecht riesig freut.

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Elias hat die Großhecht-Taktik schnell verstanden und am ersten Abend einen metrigen Hecht vorgelegt. (Bild: B. Domeyer)

Elf Stunden pro Biss

Da wir erst einen Angeltag hinter uns und die reine Angelzeit von elf Stunden noch nicht erfüllt haben, ist es normal, dass wir noch keinen ganz großen Hecht an den Spinner locken konnten. „Wir fangen den aber noch, da bin ich mir ganz sicher“, sagt Roland und lässt den trotzdem insgesamt guten Angeltag damit ausklingen. Immerhin fingen wir sieben Hechte und dazu noch drei große Barsche auf den Spinner, beschweren können wir uns also nicht.
Der nächste Morgen hat eine kleine Überraschung für uns parat: einen Wetterumschwung. Die Temperatur sinkt von 34 auf 19 Grad, dazu weht ein beständiger Westwind, der eine dünne Wolkendecke mitbringt. „Dieser Umschwung-Tag kann manchmal ein irres Beißen auslösen, vor allem, wenn es vorher recht zäh lief“, weiß Roland und macht sich sofort wieder daran, den kupferfarbenen 7er Prollex auszuwerfen. Mit Blechpeitsche und 0,27er Monofilschnur natürlich, so, wie er schon seit Jahrzehnten fischt. Aber wie heißt es so schön: Wer fängt, hat recht. Nun liefen die letzten Angeltage und Wochen alles andere als zäh, Roland hat ja bereits einige Großhechte landen können, auch bei sehr heißem Wetter in der Mittagszeit. Trotzdem beflügelt der Wetterumschwung etwas, es riecht nach Hecht. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis ein größerer Fisch bei Roland hängt. Weil der Biss nicht besonders hart ist, vermutet er zunächst einen anderen Fisch, aber im Drill wird schnell klar, dass eigentlich nur ein Räuber infrage kommt: ein großer Hecht. Sollte tatsächlich ein „Brassenfresser“ gebissen haben? Das wäre mehr als unglaublich, weil wir gestern ziemlich genau zehn Stunden gefischt haben und heute seit einer Stunde werfen. Damit wären genau elf Stunden verstrichen. Die Zeit, die Roland für den einen Biss ausgerechnet hat. Das könnte man Glück nennen, ich denke, dass sich hier seine Erfahrung zeigt.

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Huch! Beim Angeln auf Brassenfresser geht es manchmal ans „Eingemachte“. Zum Hakenlösen wäre eine Zange dann doch besser geeignet als die Astgabel. (Bild: R. Lorkowski)

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Der Großhecht ist gelandet, ein kleiner See mit Anbindung zum Fluss hat‘s gebracht. Hier wächst wegen der starken Pegel-Schwankungen fast kein Kraut, und man kann effektiv fischen (Bild: R. Lorkowski)

Innerhalb des etwa zehnminütigen Drills wird klar: Das muss der Zielfisch sein. Roland drillt klug, geht es nicht zu hart an: „Dann springen die großen Hechte nur, schütteln den Haken los oder verletzen sich an den Kiemenbögen.“ Alles geht gut, der kupferne Prollex hängt knapp, aber sicher im Maulwinkel, und Roland kann den Fisch mit der Hand landen. Zuerst löst er den Haken, hält den Fisch kurz in die Kamera und lässt ihn nach wenigen Sekunden wieder schwimmen. Ich habe keine Zeit für ein Foto, aber das geht leider nicht anders, wenn man, wie hier in den Niederlanden, den Fisch zurücksetzen möchte. „Die großen Hechte sind bei den Wassertemperaturen empfindlich, deshalb nehme ich sie nur sehr kurz aus dem Wasser“, sagt Roland. Das exakte Messen ersparen wir uns, aber etwa 1,15 Meter wird der Fisch lang gewesen sein.

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Dieser Brassenfresser ist etwa 130 Zentimeter lang und nur einer von vielen, die Roland im letzten Sommer fing (Bild: R. Lorkowski)
Ein Hecht aus der Kategorie Brassenfresser, ohne Frage. Ein außergewöhnlicher Fang auf Ansage, hinter dem allerdings eine klare Taktik steckt. Eine, die für jeden normalen Angler umsetzbar ist, für die man keine teure oder aufwändige Technik braucht. Lediglich Fleiß, Geduld und etwas Intuition für den richtigen Angelplatz. Leider geht Rolands Zeitrechnung auch dieses Mal auf: Weitere neun Angelstunden bringen keinen weiteren Großhecht ans Band, die Statistik liegt nach dem Fang an diesem Tag natürlich nicht mehr auf unserer Seite. Wobei das so eine Sache mit der Statistik ist: Fängt man einen Großhecht, sollte man definitiv weiterangeln. „Oft fängt man eine ganze Phase nichts, dann aber zwei oder drei Kapitale in nur zwei Tagen“, weiß ­Roland und stapft schon wieder am Ufer entlang. Und selbst wenn nicht: In der Zwischenzeit kann man sich auch über Beifänge freuen, so ein Großbarsch ist ja auch nicht zu verachten.

Welcher See?

Wasserpflanzen spielen bei der Auswahl des Gewässers eine wichtige Rolle: Manche Seen verkrauten weniger im Hochsommer, weil entweder Karpfen dieses ab etwa Juli fressen, oder weil der See starken Wasserstandsschwankungen unterworfen ist und es deshalb nicht gut wächst. Das ist häufig in Seen mit Anbindung zum Rhein der Fall. Weniger Kraut im Uferbereich heißt: Wir können den Köder länger sauber fischen, und die Chance steigt, dass wir einen Biss bekommen, anstatt den Drilling von Pflanzen zu befreien. Haben wir dennoch einen im Uferbereich verkrauteten See mit Großhechtpotenzial im Visier, ist die Taktik: Man wirft den Spinner ins tiefe, krautfreie Wasser und kurbelt ihn zum Ufer zurück. Dann gilt: Kraut oder Biss, denn letztere folgen fast immer direkt vor den Pflanzen. Mühsam, aber zumindest eine Chance auf einen Brassenfresser.

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Seit Jahrzehnten erfolgreich und mittlerweile legendär: Roland und sein Spinner. Einfach ist eben doch oft am besten. (Bild: B. Domeyer)

Autor: Birger Domeyer